Für das Jahr 2050 rechnen die Vereinten Nationen mit einer Weltbevölkerung von ca. 9,7 Milliarden Menschen – das entspricht gegenüber dem heutigen Stand einer Steigerung um etwa ein Drittel. Da bereits heute etwa 800 Millionen Menschen zu wenig zu essen haben stellt sich die Frage, wie die Weltbevölkerung in Zukunft ernährt werden kann. Insbesondere vor dem Hintergrund der erwarteten Klimaveränderungen in vielen Teilen der Erde und der damit verbundenen Unsicherheit in Bezug auf Anbaumöglichkeiten erweist sich die Grüne Gentechnik in den Augen vieler als eine Möglichkeit zur Lösung der Frage nach Ernährungssicherheit.

Unter Grüner Gentechnik bzw. Agro-Gentechnik versteht man den Einsatz gentechnischer Methoden und Verfahren in der Land- und Forstwirtschaft. Dabei werden Teile des Erbgutes von Mikroorganismen, Pflanzen sowie menschlichen und tierischen Zellen isoliert, eliminiert oder neu kombiniert.
Die ethische Beurteilung der Grünen Gentechnik wird dadurch erschwert, dass divergierende Expertenmeinungen im Raum stehen. Denn während die Befürworter der Grünen Gentechnik argumentieren, dass der Pestizideinsatz verringert und die Umwelt geschont werden, dass die Erträge quantitativ und qualitativ verbessert werden und damit die Ernährungssicherheit gewährleistet wird, dass Pflanzen gegenüber Klima-Phänomenen wie Dürre oder Kälte resistenter gemacht werden und dass letztendlich Kosten eingespart werden können, stellen ihre Gegner dies in Abrede oder behaupten genau das Gegenteil.
Hinzu kommt noch, dass bestimmte Risiken der Grünen Gentechnik bislang schwer abschätzbar sind. Zum einen geht es dabei um die Gefahr der Auskreuzung transgener Organismen (Übertragung von durch Gentechnik vermittelten Eigenschaften auf gleiche oder verwandte Arten) oder des horizontalen Gentransfers (Ausbreitung auf andere Arten). Dazu kommt die mögliche Schädigung von Nichtziel-Organismen durch die Ausbringung schädlingsresistenter Kulturen. Vor allem aber sind die gesundheitlichen Risiken der Grünen Gentechnik für den Menschen bislang noch nicht ausreichend erforscht. Und erschwerend kommt hinzu, dass Landwirte in eine Abhängigkeit gegenüber den Saatgut-Produzenten gelangen, weil die geernteten Pflanzen nicht wieder für die Aussaat genutzt werden können und das jährlich zu kaufende Saatgut nur von wenigen Unternehmen produziert wird und durch Patente geschützt ist.
Diese Unternehmen betonen gerne den Nutzen der Grünen Gentechnik: die Ernährung der Menschheit sicherstellen und damit den Hunger in der Welt bekämpfen. Dagegen ist freilich nichts einzuwenden. Allerdings ist zu bedenken, dass Entwicklung und Produktion von gentechnisch verändertem Saatgut in der Hand einiger weniger Agrarkonzerne wie BASF Plant Services, Bayer CropScience, Dow AgroSciences, DuPont-Pioneer, Monsanto oder Syngenta liegen. Dass es börsennotierten Unternehmen auch darum geht, einen möglichst hohen Gewinn zu erwirtschaften, darf dabei nicht ausgeblendet werden. Ohne den Unternehmen und den darin tätigen Menschen absprechen zu wollen, dass sie mit ihrer Tätigkeit einen Beitrag zur positiven Weltgestaltung leisten wollen: das Beispiel der Abgasmanipulation bei Volkswagen hat deutlich vor Augen geführt, wie in betrügerischer Weise und mit falschen Versprechungen („Unsere Autos schonen die Umwelt“) Konsumenten betrogen und die Umwelt geschädigt werden. Zweifel an den Weltrettungs-Motiven vieler Unternehmen sind also angebracht.
Wie lässt sich die Grüne Gentechnik nun ethisch beurteilen? Man sollte auf jeden Fall nicht vorschnell jeglichen Eingriff in die Natur aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen ablehnen. Zwar gibt es im Christentum den Begriff der Schöpfungsverantwortung, doch bedeutet dieser nicht, die Schöpfung als solche zu konservieren, sondern verantwortlich und zum Wohle der Menschheit zu verwalten. Es gibt gute Gründe davon auszugehen, dass die Grüne Gentechnik neben anderen Maßnahmen – wie die Förderung demokratischer Strukturen und eines globalen ökosozialen Wirtschaftssystems, einer Verbesserung der Aus- und Weiterbildung im Landwirtschaftsbereich, verstärkter Maßnahmen gegen den Klimawandel und der Eindämmung des Verlustes von Lebensmitteln – einen Beitrag zum Kampf gegen den Hunger in der Welt leisten kann. Dennoch sind die Risiken der genetischen Manipulation von Pflanzen ernst zu nehmen. Die theoretischen und praktischen Möglichkeiten der Genmanipulation haben sich in den letzten Jahrzehnten massiv erweitert und was auf natürlichem Wege früher im Laufe von Jahren, Jahrzehnten und oft erst Jahrhunderten verändert wurde, ist heute mittels biotechnologischer Verfahren binnen kürzester Zeit machbar. Damit wird es aber auch schwieriger, Fehlentwicklungen rechtzeitig erkennen und korrigieren zu können.
Wie bei vielen anderen ethischen Herausforderungen zeigt sich auch bei der Grünen Gentechnik, dass die Abwägung von Vor- und Nachteilen sowie das Eingehen von Kompromissen unvermeidbar sind. Was bei der Grünen Gentechnik jedoch besonders schwer wiegt ist, dass trotz der vielversprechenden Möglichkeiten sehr viel auf dem Spiel steht: in ökologischer Hinsicht geht es um irreversible Entwicklungen, welche die Menschheit vor große Schwierigkeiten stellen können. Und in sozialer und gesellschaftlicher Hinsicht können Situationen entstehen, bei denen Landwirte in Abhängigkeit von Saatgut-Produzenten gelangen und um ihre Existenz gebracht werden.
So gesehen erscheint ein differenzierter Umgang mit der Grünen Gentechnik besonders wichtig. Denn wenn Investorinnen und Investoren Verantwortung übernehmen wollen, muss das nicht unbedingt heißen, auf keinen Fall in Unternehmen zu investieren, die irgendwie in die Grüne Gentechnik involviert sind. Verantwortung zu übernehmen kann auch bedeuten, zwischen den Unternehmen zu differenzieren und mit dem eigenen Investment einen Beitrag zu leisten, um das Konstruktive zu fördern und das Destruktive zu verhindern.

Dieser Text erschien im ESG Letter der Erste Asset Management, Ausgabe 3/2016.

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